
Viele Angehörige und Pflegekräfte hoffen, dass sich herausfordernde Verhaltensweisen älterer Menschen einfach mit Tabletten lindern lassen. Dieser Wunsch ist nachvollziehbar, denn herausforderndes Verhalten bringt oft Sorgen, Stress und Hilflosigkeit mit sich.
Doch Medikamente sind meiner Meinung nach nicht immer eine Lösung. Stattdessen möchte ich eine andere Sichtweise mit euch teilen: Senioren verstehen statt sedieren.
Ich habe viele ältere Menschen erlebt, die erst nach dem Einzug ins Altenheim beginnen, ihr Leben zu reflektieren. Plötzlich wird ihnen bewusst: Ich habe nie wirklich gelebt.Nicht die eigenen Träume verwirklicht, nicht das gesagt, was gesagt werden wollte, nicht die Freiheit gespürt, die man sich so sehr gewünscht hätte.
Das Altenheim wird dann zu einem Ort, der diesen Schmerz sichtbar macht. Hier wird vielen klar: Das ist der letzte Lebensabschnitt. Und wenn diese Erkenntnis mit dem Gefühl verbunden ist, ein ungelebtes Leben hinter sich zu haben, entsteht Verbitterung.
Darf man da wütend sein?
Ja. Diese Menschen dürfen traurig, wütend, manchmal auch ungerecht sein. Sie dürfen laut werden, schreien oder schweigen. Denn hinter all dem steckt oft nur eine einzige Frage: War das alles?
Das heißt nicht, dass Angehörige oder Pflegekräfte dieses Verhalten „verdient“ hätten. Aber es heißt: Wir sollten den Schmerz dahinter sehen – statt nur das Symptom zu bekämpfen.
Medikamente können keine unerfüllten Träume ersetzen. Sie können nicht den Schmerz heilen, ein Leben nicht gelebt zu haben. Was helfen kann, ist Menschlichkeit. Zuhören. Aushalten. Ein gutes Wort. Ein Blick, der nicht nur die „schwierige Verhaltensweise“ sieht, sondern den Menschen dahinter.
Wir können ihnen keine verlorenen Jahre zurückgeben. Aber wir können ihnen Momente schenken, die zählen. Kleine Augenblicke von Nähe, Wärme und Verständnis. Und genau diese Augenblicke können das Ende eines Lebens heller machen, als das ganze Leben zuvor war.
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